Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union (EU) und der Schweiz sind ein Eckpfeiler der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Integration in Europa. Als Nachbarn mit eng miteinander verflochtenen Volkswirtschaften verlassen sich die beiden Parteien seit langem auf bilaterale Abkommen, um Handel, Mobilität und Zusammenarbeit in verschiedenen Sektoren zu erleichtern. Da die Schweiz durch wichtige Abkommen am EU-Binnenmarkt teilnimmt, gewährleistet diese Beziehung Stabilität und Wohlstand für beide Seiten.
Die sich verändernden globalen Herausforderungen und der veränderte Regulierungsbedarf, insbesondere auf EU-Seite, haben jedoch zu Verhandlungen über einen neuen Rahmen zur Modernisierung der Partnerschaft geführt. Das Bilaterale III-Abkommen stellt einen entscheidenden Versuch dar, diese Zusammenarbeit neu zu definieren, wobei der Schwerpunkt auf fairem Wettbewerb, dynamischer Angleichung der Regeln und beiderseitigem Nutzen liegt. In diesem Beitrag werden die Ursprünge, die Bedeutung und die wichtigsten Auswirkungen des Bilateralen III-Abkommens untersucht, wobei der Schwerpunkt auf dem komplexen Thema der staatlichen Beihilfen liegt.
Was ist der Ursprung und die Bedeutung der Bilateralen III?
Das Bilateralen III-Abkommen ist ein entscheidender Schritt bei der Neudefinition der Partnerschaft zwischen der EU und der Schweiz. Es entstand nach dem Abbruch der Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen im Jahr 2021, eine Entscheidung, die einen bedeutenden Wandel in ihren bilateralen Beziehungen markierte. Daraufhin verfolgten beide Parteien einen neuen Weg der Zusammenarbeit, der 2023 in einer gemeinsamen Vereinbarung mündete, die die Grundlage für künftige Verhandlungen bildete. Darauf aufbauend verabschiedete die Schweiz 2024 ein endgültiges Verhandlungsmandat und bekräftigte damit ihr Engagement, die Gespräche voranzutreiben.
Das Bilateralen III-Abkommen verfolgt einen „Paketansatz“, die mehrere wichtigen Bereiche der Zusammenarbeit umfasst. Es konzentriert sich auf die Stärkung der Teilnahme der Schweiz am EU-Binnenmarkt und betrifft die folgenden Schlüsselbereiche:
✔ Neue Abkommen: Diese Abkommen, die die Bereiche Elektrizität, Lebensmittelsicherheit und Gesundheit abdecken, spiegeln die gemeinsamen Prioritäten für die Zusammenarbeit wider.
✔ Teilnahme an EU-Programmen: Die Beteiligung der Schweiz in Bereichen wie Forschung, Innovation, Bildung, Jugend, Sport, Kultur und anderen Initiativen fördert eine tiefere Integration in die EU.
✔ Institutionelle Elemente: Schaffung von Mechanismen zur dynamischen Übernahme von EU-Rechtsvorschriften, zur einheitlichen Auslegung von Abkommen, zur wirksamen Überwachung und zur Streitbeilegung.
✔ Bestimmungen über staatliche Beihilfen: In die Abkommen über den Luftverkehr, den Landverkehr und das künftige Stromabkommen aufgenommen, um einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten.
✔ Freizügigkeit von Personen: Behandlung von Grundsätzen und Ausnahmen im Zusammenhang mit Einwanderung und Lohnschutz, mit einem ausgewogenen Ansatz für die Mobilität.
✔ Stabilisierung der Schweizer Beiträge: Einführung eines rechtlich verbindlichen Mechanismus zur Sicherstellung der künftigen finanziellen Beiträge der Schweiz zur Verringerung der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten.
✔ Politischer Dialog: Schaffung von Instrumenten zur Steuerung des bilateralen Ansatzes, die eine kontinuierliche Anpassung und Weiterentwicklung gewährleisten (Quelle: EDA).
Diese paketbasierte Verhandlungsstrategie zielt darauf ab, einen ausgewogenen und modernisierten Rahmen für die Beziehungen zwischen der EU und der Schweiz zu schaffen. Einen detaillierten historischen Abriss und eine Analyse der Entwicklung der Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU finden Sie in unserem früheren Artikel hier.
Welche Vorschriften gelten derzeit für staatliche Beihilfen und wie werden sie auf Unternehmen in der EU und der Schweiz angewandt?
Die derzeitigen Beihilfevorschriften in der EU und der Schweiz unterscheiden sich erheblich, was zu einem ungleichen Wettbewerbsumfeld für die in diesen Ländern tätigen Unternehmen führt.
EU-Rahmen für staatliche Beihilfen
In der EU unterliegen staatliche Beihilfen einem allgemeinen wettbewerbsrechtlichen Verbot, um gleiche Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt zu gewährleisten. Es gibt jedoch zahlreiche Ausnahmen von dieser Regel, die staatliche Beihilfen zulassen, wenn sie dem öffentlichen Interesse dienen. So sind beispielsweise Subventionen für den Umweltschutz, für Forschung und Entwicklung oder für die regionale Entwicklung zulässig. Darüber hinaus ist das EU-System sehr flexibel, denn über 80 % der staatlichen Beihilfen werden automatisch im Rahmen vereinfachter Verfahren genehmigt. Dies ermöglicht es den Unternehmen in der EU, effizienter und häufiger auf öffentliche Mittel zuzugreifen.
Schweizerischer Rahmen für staatliche Beihilfen
In der Schweiz gibt es keine übergreifende Regelung für staatliche Beihilfen, die mit dem EU-Rahmen vergleichbar wäre. Der einzige Sektor mit einer strukturierten Aufsicht ist der Luftverkehr, wo die Wettbewerbskommission (WEKO) an der Abgabe von Stellungnahmen beteiligt ist, bevor staatliche Beihilfen gewährt werden. Ausserhalb dieses Sektors bedeutet das Fehlen formeller Regeln für staatliche Beihilfen, dass Schweizer Unternehmen nicht in gleichem Masse Zugang zu staatlichen Subventionen haben wie ihre Pendants in der EU. Dies führt zu einem potenziellen finanziellen Nachteil für Schweizer Unternehmen, wenn sie mit EU-Unternehmen konkurrieren, die von öffentlichen Mitteln profitieren können.
Wichtige Implikationen
Diese Unterschiede in den Beihilfesystemen sind ein zentrales Thema in den laufenden Verhandlungen der Bilateralen III. Besonders ausgeprägt sind die Unterschiede in Sektoren wie dem Luftverkehr, der Elektrizität und dem Landverkehr , in denen die Unternehmen im direkten grenzüberschreitenden Wettbewerb stehen. Die Beseitigung dieser Unterschiede ist für die Gewährleistung gleicher Wettbewerbsbedingungen in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Schweiz und der EU unerlässlich.
Welche Bedeutung haben die gemeinsame Vereinbarung und das endgültige Verhandlungsmandat für staatliche Beihilfen?
Die Gemeinsame Absichtserklärung (27. Oktober 2023) und das endgültige Verhandlungsmandat (8. März 2024) stecken den Rahmen für die Harmonisierung der Beihilfevorschriften im Rahmen der laufenden Verhandlungen über die Bilateralen III zwischen der EU und der Schweiz ab.
Das Gemeinsame Verständnis führt ein Zwei-Säulen-Modell ein, bei dem:
✔ Schweizerisches Recht wird von Schweizer Gerichten durchgesetzt, und
✔ Das EU-Recht wird von EU-Gerichten durchgesetzt.
Darüber hinaus gibt es eine dritte Säule, die im Falle von Konflikten ein Schiedsgericht vorsieht, um einen neutralen Mechanismus zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zu gewährleisten.
Die Schweiz wird eine unabhängige Verwaltungsbehörde zur Ex-ante-Kontrolle staatlicher Beihilfen einrichten. Diese Behörde wird Massnahmen überprüfen und nicht konforme Beihilfen vor Schweizer Gerichten anfechten, die verbindliche Entscheidungen erlassen müssen. Es wird erwartet, dass die Schweizer Beihilfevorschriften den EU-Standards entsprechen, insbesondere in Sektoren wie Luftverkehr, Landverkehr und Elektrizität.
Das endgültige Verhandlungsmandat stärkt diese Grundsätze und gewährleistet gleichzeitig den Schutz der öffentlichen Interessen der Schweiz, wie etwa die Hilfe bei Naturkatastrophen. Die Schweizer Gerichte werden die Einhaltung der Vorschriften überwachen und dabei ein Gleichgewicht zwischen der Anpassung an die EU-Vorschriften und der Souveränität herstellen.
Zusammen bieten diese Rahmenregelungen einen Weg zur Angleichung der schweizerischen Beihilfevorschriften an die EU-Praxis unter Wahrung der Unabhängigkeit der Justiz. Sie zielen darauf ab, die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu fördern und Fairness in Bereichen zu gewährleisten, die für die Beziehungen zwischen der EU und der Schweiz entscheidend sind.
Wie ist der aktuelle Stand der Verhandlungen, und welche Änderungen sind bei den staatlichen Beihilfen zu erwarten?
Die Diskussionen über staatliche Beihilfen konzentrieren sich auf drei Sektoren, die mit dem Zugang der Schweiz zum EU-Binnenmarkt verbunden sind: Strom, Luftverkehr und Landverkehr. Die EU erwartet von der Schweiz, dass sie in diesen Sektoren Überwachungsmechanismen für Subventionen einrichtet, die dem System der EU ähneln. Derzeit überwacht die Schweiz die staatlichen Beihilfen im Luftverkehr nur durch die Wettbewerbskommission (WEKO).
Erwartete Änderungen
- Einrichtung einer Überwachungsstelle: Die Schweiz wird eine Aufsichtsbehörde für staatliche Beihilfen einrichten, die für folgende Aufgaben zuständig ist
✓ Gewährleistung von Transparenz bei Subventionen.
✓ Überprüfung und Abgabe von Stellungnahmen zu staatlichen Beihilfemassnahmen.
✓ Erforderlichenfalls Anrufung der Schweizer Gerichte bei Verstössen. - Erhöhte Transparenz: Die Schweizer Behörden müssen Subventionen melden, die bestimmte Schwellenwerte überschreiten oder nicht unter die Ausnahmebestimmungen fallen.
- Sektorspezifische Anpassungen: Bestehende Subventionen im Elektrizitätssektor und im Landverkehr müssen den EU-äquivalenten Vorschriften entsprechen, obwohl die meisten davon voraussichtlich angeglichen werden. Öffentliche Dienstleistungen in der Schweiz, wie der öffentliche Personennahverkehr, bleiben unberührt, da sie nicht in den Geltungsbereich des Abkommens fallen.
- Gesetzesentwürfe in Arbeit: Das WBF bereitet einen Gesetzesentwurf zur Überwachung staatlicher Beihilfen vor, der in die Vernehmlassung geht. Dabei wird sichergestellt, dass er mit den EU-Standards vereinbar ist und gleichzeitig die Schweizer Interessen berücksichtigt.
Diese Änderungen zielen darauf ab, gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen und die Schweiz stärker in den EU-Binnenmarkt zu integrieren, ohne die Souveränität der Schweiz zu beeinträchtigen.
Wann wird der neue Rechtsrahmen für staatliche Beihilfen voraussichtlich in Kraft treten?
Kurz vor Ende 2024 sind die Verhandlungen über die Bilateralen III noch nicht abgeschlossen. Trotz erheblicher Fortschritte sind zentrale Fragen wie staatliche Beihilfen und Zuwanderung nach wie vor ungelöst. Das früheste optimistische Szenario für den Abschluss der Verhandlungen ist irgendwann im Jahr 2025.
Angesichts der Komplexität des Abkommens und der erforderlichen Genehmigungsverfahren, einschliesslich möglicher Schweizer Volksabstimmungen, ist es unwahrscheinlich, dass die Bilateralen III als Paket vor 2027 in Kraft treten. Dieser Zeitplan ermöglicht den Abschluss der Verhandlungen, die Ausarbeitung und Umsetzung der erforderlichen Rechtsvorschriften sowie die gegenseitige Ratifizierung.
Das Bilateralen III-Abkommen stellt eine entscheidende Gelegenheit dar, die Beziehungen zwischen der EU und der Schweiz zu stärken und zu modernisieren. Durch die Behandlung kritischer Bereiche wie staatliche Beihilfen, Elektrizität, Luftverkehr und Landverkehr zielt das Abkommen darauf ab, einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten, die Transparenz zu verbessern und die rechtlichen Rahmenbedingungen anzugleichen. Dieser umfassende Ansatz unterstreicht das Engagement der EU und der Schweiz für die Förderung einer stabilen und für beide Seiten vorteilhaften Partnerschaft.
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