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Grenzüberschreitende Unternehmensstrukturen: Ist Steuereffizienz noch möglich?

Seit der Finanzkrise von 2007-2008 hat es weltweit eine Vielzahl verschiedener Regulierungsinitiativen gegeben, darunter eine Reihe nationaler und internationaler Projekte, die auf steuerliche Transparenz und Steuergerechtigkeit abzielen.  Einige der bekanntesten dieser Initiativen, um nur einige zu nennen, sind der im Oktober 2015 veröffentlichte Aktionsplan der OECD zur Bekämpfung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (Base Erosion and Profit Shifting, BEPS) und die EU-Richtlinie 2011/16/EU über den obligatorischen automatischen Informationsaustausch im Bereich der Besteuerung in Bezug auf meldepflichtige grenzüberschreitende Vereinbarungen (DAC6 – siehe unseren Newsletter zu diesem Thema – erfahre mehr).  Diese Verordnungen behandeln verschiedene Aspekte grenzüberschreitender Transaktionen.  In diesem Newsletter konzentrieren wir uns auf die Frage der Nutzung bilateraler Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung.

Ist es in der modernen Welt noch möglich, bei grenzüberschreitenden Unternehmensstrukturen Steuereffizienz zu erreichen?  Das sollte möglich sein, sofern die Struktur einen echten kommerziellen Zweck verfolgt.  Bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen ermöglichen es, die Doppelbesteuerung von Dividenden, Zinsen, Lizenzgebühren und anderen Einkünften zu verringern oder zu beseitigen, um Investitionen zu fördern.  All diese Vorteile können jedoch nicht in Anspruch genommen werden, wenn es einer Struktur an wirtschaftlicher Substanz mangelt und sie ausschliesslich zur Steuerminimierung genutzt wird.

1. Was ist Abkommensmissbrauch?

Bilaterale Steuerabkommen werden im Allgemeinen unterzeichnet, um eine schädliche Doppelbesteuerung zu vermeiden, die Handel und Investitionen behindert.  Dieselben Abkommen werden jedoch in grossem Umfang für den so genannten „Vertragsmissbrauch“ und das „treaty shopping“ genutzt.

Vertragsmissbrauch liegt vor, wenn eine Person den Wortlaut der Bestimmungen eines anwendbaren Steuerabkommens formell einhält, aber versucht, Vorteile zu erlangen, die über den Sinn dieser Bestimmungen hinausgehen.  Vertrags-Shopping ist eine Vereinbarung, bei der eine Person indirekt von den Bestimmungen eines Doppelbesteuerungsabkommens zwischen zwei Ländern profitiert, ohne in einem dieser Länder steuerlich ansässig zu sein.  In beiden Fällen wird ein Steuerabkommen für Zwecke verwendet, für die es nicht gedacht war.

2. Gibt es Vorschriften gegen Abkommensmissbrauch?

Verschiedene Länder haben versucht, den Missbrauch von Abkommen auf unterschiedliche Weise zu bekämpfen.  Einige Länder haben spezielle Vorschriften zur Bekämpfung des Missbrauchs, die die Rechtsnatur, die Eigentumsverhältnisse und die Tätigkeiten einer Person prüfen, die einen Vorteil aus einem von diesen Ländern abgeschlossenen Steuerabkommen beanspruchen will.  Ein anderer Ansatz sind allgemeine Vorschriften zur Missbrauchsbekämpfung, bei denen der Zweck der Transaktionen oder Vereinbarungen im Vordergrund steht.  Wenn der Zweck nur steuerlich motiviert ist, können die Vorteile des Abkommens verweigert werden.

Die jüngste internationale Strategie zur Bekämpfung des Vertragsmissbrauchs ist der BEPS-Aktionsplan der OECD.  Er enthält die Aktion 6 – Verhinderung des Missbrauchs von Steuerabkommen -, die einen Mindeststandard für den Umgang mit Vertragsshopping festlegt. 

3. Was ist der BEPS-Mindeststandard?

Der Mindeststandard verlangt von den Ländern, zwei Komponenten in ihre Doppelbesteuerungsabkommen aufzunehmen:

  1. Eine ausdrückliche Erklärung, dass die Absicht der Vertragsparteien eines Steuerabkommens darin besteht, die Doppelbesteuerung zu beseitigen, ohne Möglichkeiten zur Nichtbesteuerung oder reduzierten Besteuerung durch Steuervermeidung oder -hinterziehung zu schaffen; und
  2. eine der drei Methoden zur Verhinderung von „treaty shopping“ (die Prüfung des Hauptzwecks (PPT) und eine detaillierte Beschränkung der Vorteile (LOB); PPT allein oder eine detaillierte LOB-Regel mit einem Mechanismus zur Behandlung von „conduit arrangements“).

Um die Umsetzung des Mindeststandards zu erleichtern, haben die Länder, die sich zur Umsetzung von BEPS verpflichtet haben, das so genannte Multilaterale Instrument (MLI) unterzeichnet, eine multilaterale Vereinbarung, die es ermöglicht, bestehende bilaterale Steuerabkommen zu ändern.

4. Wie funktioniert das PPT?

Die PPT ist eine Form einer allgemeinen Anti-Missbrauchsregel, die sich auf die Rationalität einer bestimmten Transaktion oder Vereinbarung konzentriert.  Der Grundgedanke ist, dass Vertragsvorteile verweigert werden sollten, wenn einer der Hauptgründe für eine Transaktion oder eine Vereinbarung darin besteht, einen Steuervorteil im Rahmen des Abkommens zu erhalten.  Im Allgemeinen bietet sie eine Rechtsgrundlage für die Anfechtung der Gewährung einer Vertragsvergünstigung in Situationen, in denen der Vertragsmissbrauch nicht durch spezifischere Bestimmungen erfasst wird.

5. Wie geht die Schweiz mit Abkommensmissbrauch um?

Die Schweiz hat das MLI im Jahr 2017 unterzeichnet und setzt den OECD-Mindeststandard um, indem sie die Präambel und die PPT in ihre bilateralen Steuerabkommen aufnimmt.  Das MLI ist für die Schweiz am 1. Dezember 2019 in Kraft getreten.  Die Schweiz verhandelt nun mit ihren Vertragspartnern über die Aufnahme des Mindeststandards, einschliesslich der PPT-Regel, in die jeweils geltenden Verträge.  Der Mindeststandard wird nun auch in neue von der Schweiz abgeschlossene Verträge und in revidierte Verträge aufgenommen.  So wurden beispielsweise die Steuerabkommen mit Zypern, Malta, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich bereits revidiert und enthalten nun die PPT-Regel.

6. Was war vor BEPS?

Vor BEPS hat die Schweiz hauptsächlich unilaterale Massnahmen gegen die ungerechtfertigte Anwendung von Steuerabkommen ergriffen.  Zu diesem Zweck hat die Eidgenössische Steuerverwaltung mehrere Rundschreiben herausgegeben (KS 1962, KS 1999 und KS 2010), die detaillierte Erläuterungen zu den inländischen Missbrauchsbekämpfungsvorschriften enthalten.  Diese Massnahmen gelten weiterhin für Situationen, die nicht durch die Missbrauchsbekämpfungsvorschriften eines einschlägigen Steuerabkommens abgedeckt sind. 

In den Rundschreiben werden Situationen beschrieben, in denen die Inanspruchnahme einer abkommensrechtlichen Erleichterung als eindeutig ungerechtfertigt angesehen wird, insbesondere:

  • Wer sich nur zum Schein in der Schweiz niederlässt, hat keinen Anspruch auf Steuererleichterungen; die Entrichtung von Schweizer Steuern allein begründet noch keinen steuerlichen Wohnsitz.
  • Eine Person, die in der Schweiz steuerlich ansässig ist, aber kein oder nur ein beschränktes Nutzungsrecht an den Vermögenswerten hat, aus denen die fraglichen Einkünfte stammen, kann dafür keine Steuererleichterung beanspruchen, selbst wenn sie auf die Einkünfte Schweizer Steuern zahlt oder nachweist, dass der tatsächlich Berechtigte aus anderen Gründen eine gleichwertige Steuererleichterung im Quellenstaat beanspruchen könnte.

Darüber hinaus geben die Rundschreiben Hinweise darauf, wann die Inanspruchnahme von Steuererleichterungen als „treaty shopping“ angesehen werden kann.  Erstens handelt es sich um Fälle, in denen abkommensfähige Einkünfte in erheblichem Umfang über in der Schweiz ansässige Personen an Personen fliessen, die keinen Anspruch auf Abkommensvorteile haben. Dies kann Zahlungen von Zinsen, Lizenzgebühren, Werbegebühren usw. umfassen.  Zweitens kann ein Abkommensmissbrauch auch dann vorliegen, wenn die abkommensbegünstigten Einkünfte von einer schweizerischen Kapitalgesellschaft erzielt werden, an der nicht abkommensberechtigte Personen direkt oder indirekt ein wesentliches Interesse haben.  Zu den Personen mit wesentlichem Interesse können Aktionäre und Dritte gehören, die einzeln oder gemeinsam eine direkte oder indirekte rechtliche oder tatsächliche Möglichkeit haben, von den von der Gesellschaft beanspruchten Steuervorteilen zu profitieren.

7. Was bedeutet dies in der Praxis?

Da die PPT-Regel und andere Anti-Missbrauchs-Bestimmungen in Steuerabkommen auf immer mehr Abkommen anwendbar werden, steigt das Risiko, dass bestimmte Strukturen als missbräuchlich angefochten werden und dass infolgedessen Vertragsvorteile verweigert werden.   Dies kann insbesondere für Holding-, Finanzierungs- oder Lizenzierungsstrukturen gelten.  Bei Strukturen, die vor einiger Zeit eingerichtet wurden, kann es erforderlich sein, ihre Tragfähigkeit auf der Grundlage der sich ändernden Vorschriften zu bewerten.  In ähnlicher Weise sollten die neuen Vorschriften zur Missbrauchsbekämpfung bei der Einrichtung neuer grenzüberschreitender Strukturen berücksichtigt werden.

Die Gründung eines Unternehmens in einem bestimmten Rechtsraum sollte immer einen echten nichtsteuerlichen Geschäftszweck haben, der durch das entsprechende Geschäftsmodell und eine ausreichende operative und wirtschaftliche Substanz gestützt wird.

8. Wann ist genügend Substanz vorhanden?

Die Substanz, d.h. die wirtschaftliche und betriebliche Präsenz in einem bestimmten Rechtsraum, sollte der Tätigkeit des betreffenden Unternehmens, seinen Funktionen innerhalb der Gruppe und den Risiken, die es tragen soll, angemessen sein.  Dies muss auf der Grundlage der spezifischen Umstände des jeweiligen Falles beurteilt werden.  Darüber hinaus können verschiedene Länder unterschiedliche spezifische Anforderungen haben, aber die allgemeinen Leitlinien umfassen normalerweise Folgendes:

  • Einsatz lokaler Direktoren;
  • Vorhandensein von Direktoren und Mitarbeitern mit angemessener Qualifikation und Erfahrung;
  • Verfügbarkeit von geeigneten Räumlichkeiten;
  • Angemessene Ausgaben für Mitarbeiter und Büro;
  • Vertragliche Vereinbarungen mit nahestehenden Personen, die wirtschaftlich sinnvoll sind und eine überzeugende nichtsteuerliche Geschäftsgrundlage haben;
  • Vorteile der Struktur, die über die Steueroptimierung hinausgehen (z. B. Konsolidierung von Vermögenswerten, Synergien, Grössenvorteile, Kostensenkungen usw.)
  • Angemessene Finanzierungsstruktur (z. B. keine übermässige Verschuldung).

 

LINDEMANNLAW kann Ihnen helfen, die steuerlichen Risiken Ihrer bestehenden Strukturen zu überprüfen, zu bewerten und zu mindern.  Wir können Sie auch bei der Gründung von steuerkonformen Gesellschaften unterstützen, z.B. in der Schweiz, Liechtenstein, Malta und Luxemburg.  Wir können Ihnen helfen, in diesen Ländern eine angemessene Substanz zu schaffen und Sie steuerlich und rechtlich zu beraten.

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