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Neues Schweizer Erbrecht

Das Schweizer Erbrecht datiert im Wesentlichen aus der Zeit der Schaffung des Zivilgesetzbuches anfangs des 20. Jahrhunderts. Um den gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung zu tragen, wird das Erbrecht aktuell einer Revision unterzogen. Dabei hat sich der Bundesrat aufgrund der Vielzahl und Komplexität der aufgeworfenen Fragen entschieden, das Vorhaben in drei Etappen anzugehen:

1) Erweiterung der erblasserischen Verfügungsfähigkeit,

2) Erleichterung der erbrechtlichen Unternehmensnachfolge und

3) technische Revisionsvorlage.

Während die parlamentarische Beratung der 2. und 3. Etappe noch bevorsteht, ist die 1. Etappe am 1. Januar 2023 in Kraft getreten. Gerne vermitteln wir Ihnen einen Überblick der wichtigsten Neuer­ungen der 1. Etappe und unterstützen Sie bei der Klärung, ob im Rahmen Ihrer Nachlassplanung Handlungsbedarf besteht.

1. Abschaffung elterliches Pflichtteilsrechts und Reduktion Pflichtteilsquoten für Nachkommen

In der Absicht die Autonomie zu stärken und die Verfügungsfähigkeit des Erblassers zu erweitern, wurde per 1. Januar 2023 das Pflichtteilsrecht der Eltern aufgehoben und die Pflichtteilsquote für Nach­kommen von drei Vierteln auf die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs reduziert. Dem Erblasser steht neu somit immer mindestens die Hälfte der Erbschaft zur freien Verfügung.

Der Kreis der gesetzlichen Erben (Nachkommen, Eltern, Grosseltern, Ehegatte bzw. eingetragener Partner sowie subsidiär Gemeinwesen) und die gesetzlichen Erbteile bleiben unverändert. Will der Erblasser Personen ausserhalb des Kreises der gesetzlichen Erben (bspw. faktische Lebenspartnerin, Stief- oder Pflegekinder, etc.) berücksichtigen oder eine Veränderung der Erbquoten herbeiführen, so hat er zum Mittel einer Verfügung von Todes wegen (letztwillige Verfügung oder Erbvertrag) zu greifen.

2. Verlust Pflichtteilsrecht und rechtsgeschäftliche Begünstigung während Scheidungsverfahren

Bis zum 1. Januar 2023 entfielen das gesetzliche Erbrecht und das Pflichtteilsrecht unter Ehegatten erst mit rechtskräftigem Scheidungsurteil. Neu verliert der überlebende Ehegatte seinen Pflichtteils­anspruch, wenn:

1) ein Scheidungsverfahren auf gemeinsames Begehren eingeleitet oder nach den Vorschriften über die Scheidung auf gemeinsames Begehren fortgesetzt wurde oder

2) die Ehegatten mindestens zwei Jahre getrennt gelebt haben. In einem solchen Fall gelten die Pflichtteile, wie wenn der Erblasser nicht verheiratet wäre.

In Bezug auf das gesetzliche Ehegattenerbrecht bleibt die Rechtslage aber unverändert, wenn das Scheidungsbegehren einseitig fortgesetzt wurde, d.h. das gesetzliche Ehegattenerbrecht entfällt weiterhin erst mit dem Eintritt der Rechtskraft des Scheidungsurteils. Will der Erblasser verhindern, dass der überlebende Ehegatte die gesetzliche Erbfolge beim Versterben während des laufenden Scheidungsverfahrens antritt, muss er dem überlebenden Ehegatten den gesetzlichen Erbanspruch mit einer Verfügung von Todes wegen aktiv entziehen. Unterlässt er dies, bleibt der überlebende Ehegatte bis zum Eintritt der Rechtkraft des Scheidungsurteils gesetzlicher Erbe. Dasselbe gilt auch bei der Auflösung einer eingetragenen Partnerschaft.

Der Gesetzgeber sieht vor, dass im Falle des Todes einer Person während eines Scheidungs- und Auflösungsverfahrens die überlebende Person nicht mehr in gleicher Weise begünstigt werden soll wie vor der Einleitung des Verfahrens. Dies führt dazu, dass neben dem Verlust des Pflichtteilsrechts auch Begünstigungen des überlebenden Ehegatten aus Verfügungen von Todes wegen, einem Ehevertrag betreffend abweichende Beteiligung am Vorschlag oder einem Vermögensvertrag betreffend abweichende Teilung von Gesamtgut verloren gehen. Wünschen die Ehegatten oder eingetragenen Partner den Fortbestand der Begünstigung auch während eines laufenden Scheidungs- und Auflösungserfahrens, ist diese im Ehevertrag bzw. Vermögensvertrag und in der Verfügung von Todes wegen explizit vorzusehen.

3. Erhöhung verfügbare Quote bei Nutzniessung

Bereits unter dem bisherigen Recht konnte der Erblasser dem überlebenden Ehegatten eine Nutz­niessung am ganzen auf die gemeinsamen Nachkommen zufallenden Teil der Erbschaft zuweisen. Dabei tritt die Nutzniessung an die Stelle des gesetzlichen Erbrechts, d.h. der Ehegatte verliert seine Erbstellung und damit sein Pflichtteilsrecht. Der neben der Nutzniessung verfügbare Teil des Nachlasses beträgt seit dem 1. Januar 2023 nicht mehr drei Viertel, sondern die Hälfte. Mit der Erhöhung der verfügbaren Quote wurde dem Erblasser die Möglichkeit einer weitergehenden erbrechtlichen Begünstigung geschaffen. Damit kann dem überlebenden Ehegatten beispielsweise an der einen, den gemeinsamen Nachkommen zukommenden Hälfte des Nachlasses eine Nutzniessung und an der anderen Hälfte das Eigentum letztwillig zugewendet werden.

4. Klarstellungen und Übergangsrecht

Die Revisionsetappe 1 wurde zudem genutzt, um umstrittene Fragen im Zusammenhang mit der ehevertraglichen Begünstigung durch Vorschlags- oder Gesamtgutszuweisung, der gebundenen Selbstvorsorge (Säule 3a), der Berechnung der Pflichtteile und die Herabsetzungsreihenfolge zu klären und Rechtssicherheit zu schaffen.

Die Revision ist am 1. Januar 2023 in Kraft getreten. Massgebend für die Anwendbarkeit der neuen Bestimmungen ist der Zeitpunkt des Todes des Erblassers, d.h. auf einen Erbgang bei einem Todes­fall nach dem 31. Dezember 2022 ist das neue Recht selbst dann anwendbar, wenn eine relevante Verfügung von Todes wegen vor Inkrafttreten des neuen Rechts gültig errichtet wurde.

Mit Inkrafttreten dieser 1. Etappe ist die Erbrechtsrevision aber noch nicht abgeschlossen, Etappen 2 und 3 werden folgen.

 

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