Einführung
Die Credit Suisse Group AG («CS») war eine systemrelevante Bank und an der SIX Swiss Exchange sowie an der New York Stock Exchange («NYSE» / «Wall Street») kotiert. Zusammen mit der UBS Group AG («UBS») prägte sie über Jahre den Schweizer Finanzplatz. Der Aktienkurs der CS fiel ab 2012 kontinuierlich, brach 2021 ein und erholte sich nicht mehr. Zur Stabilisierung trat am 16. März 2023 die Verordnung über zusätzliche Liquiditätshilfe-Darlehen und die Gewährung von Ausfallgarantien des Bundes für Liquiditätshilfe-Darlehen der Schweizerischen Nationalbank an systemrelevante Banken («Notverordnung») in Kraft und wurde am 19. März 2023 abgeändert. Am 19. März 2023 erfolgte die UBS-Übernahme der CS im Rahmen einer Fusion. Viele Investoren erlitten Verluste und machten Ansprüche geltend. Jüngst wurden zwei wegweisende Entscheide gefällt: einer in der Schweiz (BGer 2E_1/2024, Urteil vom 23. Mai 2025; publiziert am 26. September 2025) und einer in New York, USA (United States District Court, Southern District of New York, Entscheid vom 30. September 2025). Dieser Insight ordnet beide Entscheide ein – mit Blick nach vorn.
1) Worum ging es im Verfahren in der Schweiz und was wurde entschieden?
Am 8. Januar 2024 reichten zwei Investoren beim Bundesgericht eine Staatshaftungsklage gegen die Schweizerische Eidgenossenschaft ein. Sie hatten zwischen dem 10. und 15. März 2023 insgesamt 38’000 CS-Aktien für CHF 84’788.49 (zzgl. Gebühren) gekauft und am 20. März 2023 für CHF 30’187.15 verkauft. Somit erlitten sie innerhalb weniger Tage einen Schaden von über CHF 50’000. Vorgeworfen wurden dem Bundesrat (1) die Anwendung des Notrechts, (2) tatsachenwidrige Äusserungen und (3) Druckausübung auf die Spitzen von CS und UBS. Nach mündlicher Hauptverhandlung wies das Bundesgericht die Klage am 23. Mai 2025 vollumfänglich ab; die schriftliche Begründung wurde am 26. September 2025 publiziert. Die Kläger scheiterten mithin unter anderem am Nachweis von Schaden und Kausalität (siehe unten, Frage 3), sodass das Bundesgericht die Schlussfolgerung zog, dass sie über keinen legitimierten Anspruch auf Staatshaftung verfügen.
2) Welche Erkenntnisse ergeben sich aus diesem Urteil?
Auffällig ist die Publikationsverzögerung. Obwohl das Urteil am 23. Mai 2025 gefällt wurde, wurde dessen Begründung erst Ende September veröffentlicht. Das stellt ein Indiz für die Sorgfalt und Tragweite der Begründung dar. Materiell betont das Urteil die hohen Hürden der Staatshaftung nach Schweizer Recht. Besonders wichtig ist, dass das Bundesgericht die Frage der Widerrechtlichkeit der Notverordnung ausdrücklich offen liess, weil es bereits am fehlenden Nachweis von Schaden und Kausalität scheiterte:
- 5.3: «Ob die Voraussetzung der Widerrechtlichkeit erfüllt ist, kann angesichts der nachfolgenden Erwägungen offen bleiben, da es den Klägern im Zusammenhang mit der Notverordnung nicht gelingt, einen Schaden oder einen Kausalzusammenhang nachzuweisen.» sowie E. 5.6: «Nachdem die Kriterien Schaden, Kausalität und Widerrechtlichkeit kumulativ erfüllt sein müssen (vorstehend E. 4.1), erübrigt sich die Prüfung der Widerrechtlichkeit im Zusammenhang mit dem Erlass der Notverordnung.»
Verschiedene Fachkommentare unterstreichen auch diese Lesart und die Signalwirkung des Falls.
3) Was ist bei der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs (insb. Staatshaftung) nach Schweizer Recht zu beachten?
Nach Art. 3 Abs. 1 VG haftet der Bund für den Schaden, den ein Beamter in Ausübung seiner amtlichen Tätigkeit Dritten widerrechtlich zufügt. «Widerrechtlichkeit» setzt einen Verstoss gegen eine Schutznorm voraus. Reine Vermögensschäden sind nur widerrechtlich, wenn eine Norm das Verhalten verbietet und gerade das Vermögen des Betroffenen schützt. Schaden ist die ungewollte Verminderung des Reinvermögens gemäss Differenztheorie; er handelt sich um eine Vermehrung der Passiven, Verminderung der Aktiven oder entgangenen Gewinn und muss beziffert und substanziiert werden. Zusätzlich sind natürlicher (conditio sine qua non) und adäquater Kausalzusammenhang zu belegen. Der adäquate Kausalzusammenhang ist gegeben, wenn die Ursache nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet ist, einen Erfolg von der Art des eingetretenen herbeizuführen. Im Urteil BGer 2E_1/2024 vom 23. Mai 2025 bekräftigt das Bundesgericht die strengen, kumulativen Voraussetzungen des Schadens. Die Klage wurde hier bereits mangels Schadens und Kausalität abgewiesen, ohne die Widerrechtlichkeit definitiv zu prüfen. Für künftige Kläger eines Schadensersatzanspruches heisst das insbesondere: Robuste Bezifferung und Belegung des Schadens sowie sorgfältige Kausalitätsargumentation sind entscheidend.
4) Worum ging es im Verfahren in New York und was wurde entschieden?
Bekanntlich war die Abschreibung der AT1-Instrumente der CS hoch umstritten. Eine Gruppe von AT1-Gläubigern reichte am 6. Juni 2024 beim U.S. District Court (SDNY) eine Zivilklage über rund USD 370 Mio. gegen die Schweizerische Eidgenossenschaft ein. Am 30. September 2025 folgte das Gericht der Argumentation der Schweiz und bestätigte die Staatenimmunität, sodass auf die Klage mangels Zuständigkeit nicht eingetreten wurde. Eine Berufung ist innerhalb von 30 Tagen möglich. Da die Klage daher aus formellen Gründen abgewiesen wurde, erfolgte keine materielle Prüfung der AT1-Schuldfrage in den USA.
5) Was bedeuten diese Entwicklungen für AT1-Gläubiger und die Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVG) in St. Gallen?
Die Aufmerksamkeit richtet sich nun auf das BVG. Anders als der SDNY wird das BVG seine Zuständigkeit kaum verneinen. Es wird voraussichtlich auf die Beschwerden eintreten und materielle Fragen (u. a. zur Rechtmässigkeit der FINMA-Anordnung/Notverordnung) beurteilen. Wie oben dargelegt, hat das Bundesgericht im Urteil 2E_1/2024 vom 23. Mai 2025, welches vor kurzem publiziert wurde, die Widerrechtlichkeit explizit offengelassen. Damit wird sich also das BVG auseinandersetzen müssen. Die Streitwerte betragen insgesamt mehrere Milliarden; die Auswirkungen reichen wirtschaftlich, sozial und politisch weit. Gegen BVG-Entscheide ist die Beschwerde ans Bundesgericht möglich; eine Weiterziehung ist absehbar. Parallel belegen Berichte die Vielzahl pendent gewordener AT1-Verfahren sowie Verzögerungsrügen wegen der Komplexität und Anzahl der Beteiligten. Das BVG verfügt bei der Festlegung des Verfahrensablaufs über einen erheblichen Ermessensspielraum; derzeit ist nicht vorhersehbar, wann mit BVG-Urteilen zu rechnen ist.
Fazit
In der Schweiz (BGer 2E_1/2024 vom 23. Mai 2025) bleibt die Staatshaftung eine steile Rampe – ohne präzise Schadensdarlegung und eine tragfähige Kausalitätskette scheitern Klagen; die Frage der Widerrechtlichkeit der Notverordnung ist weiterhin offen. In den USA (SDNY, Entscheid vom 30. September 2025) endete ein prominentes Verfahren formell an der Staatenimmunität, materielle Fragen blieben unentschieden. Der Blick richtet sich nun auf das Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen, wo die materiellen Weichen gestellt werden: Entscheide mit Milliardenstreitwerten und erheblicher Markt- und Systemrelevanz stehen an.
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