Lindemann Law

Zahlungsbilanz, Zölle und Zornausbrüche –
Amerika und Europa in der Weltordnung gemäss Trump 2.0

Dieser Beitrag geht auf einen Vortrag beim American International Club in Genf vom 2. Oktober 2025 im Hotel Warwick zurück.

Die Handelspolitik der zweiten Trump-Administration rückt protektionistische Instrumente wieder ins Zentrum der Wirtschaftspolitik, die man längst auf dem Schrotthaufen der Geschichte wähnte. Strafzölle, Drohungen gegenüber Bündnispartnern und die Forderung nach einer Schwächung des Dollars werden als Hebel präsentiert, um Amerika wieder grossartig zu machen.

Tump 2.0 hat zwar einige Probleme richtig erkannt: Die Deindustrialisierung der USA, den Abstieg der Mittelschicht und mangelnde Investitionen der Bündnispartner in die Sicherheit. Aber werden die vorgeschlagenen Mittel die vorgegebenen Ziele erreichen?

Vom Ordnungsarchitekten zum Systemkritiker

Nach 1945 schufen die USA eine regelbasierte Weltordnung. Mit dem Bretton-Woods-System, dem GATT (später WTO), der Gründung von Weltbank, IWF und NATO entstand ein Geflecht aus Institutionen, das Handel, Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung regelte.

Sie waren nach dem Ende des Krieges auf Alliierte angewiesen. Verbündete und Besiegte in Europa und Asien lagen am Boden, und es galt ein gefährliches Vakuum zu einer für die USA sichereren Welt zu wandeln. Sie schufen dafür eine regelbasierte Ordnung mit supranationalen Institutionen. Diese sollte allen Teilnehmenden Chancen bieten und so Konflikte unattraktiv machen. Die USA nutzten ihre ökonomische und militärische Dominanz, um die Spielregeln zu setzen. So würden sie bestimmen können, was geschieht, dafür aber nur teilweise selbst bezahlen müssen.

Dass diese Ordnung nun von Washington selbst infrage gestellt wird, markiert einen fundamentalen Bruch.

Probleme richtig erkannt?

Eins steht fest: In den USA geht es trotz grossem Wirtschaftswachstum nicht allen gut. Auch trug die USA für die Sicherheit insbesondere Europas eine zu grosse Last allein.

  • Abstieg der Mittelschicht: Reale Löhne stagnierten über Jahrzehnte, während das BIP wuchs. Viele Menschen haben keinen Zugang zu stabilen Jobs und Perspektiven.
  • Soziale Verwerfungen: Ganze Regionen, insbesondere im Rust Belt und in ländlichen Gebieten, verarmen. Trailerparks und strukturschwache Gegenden stehen für den Verlust von Chancen und Sicherheit.
  • Epidemie der Verzweiflung: Anne Case aus Princeton und Nobelpreisträger Angus Deaton beschreiben den Anstieg von Drogenmissbrauch, Alkoholismus und Selbstmord, insbesondere unter Menschen ohne Hochschulabschluss.
  • Sinkende Lebenserwartung: Die USA sind das einzige OECD-Land, in dem die Lebenserwartung trotz höchster Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben sinkt.
  • Sicherheitspartner unter dem Pflichtanteil: Über eine lange Zeit erreichten die Verteidigungsausgaben wichtiger und reicher NATO-Partner die versprochenen 2% am BIP nicht. Jahrelange Ermahnungen blieben ohne Folgen.

Die Probleme sind also zumindest teilweise erkannt. Aber wie steht es mit den Lösungen?

Was ist die Logik von Trump 2.0?

Die Trump-Regierung beschreibt Handel als Nullsummenspiel: Exporte seien Gewinn, Importe Verlust. Hinzu kommen drei zentrale Vorwürfe:

  • Handel: Handelsdefizite seien Ausdruck von Ausbeutung durch andere Länder.
  • Währung: Die Rolle des US-Dollars als Leitwährung habe zur Deindustrialisierung beigetragen.
  • Sicherheit: NATO-Partner und andere Verbündete würden auf Kosten der USA „Trittbrett fahren“.

Daraus folgt die handelspolitische Agenda: Zölle als Allheilmittel, Druck auf Verbündete, die Abkehr von multilateralen Strukturen und die Schwächung des US Dollars zur Förderung der heimischen Produktion.

Werden die Ziele so erreicht?

Empirische Evidenz widerspricht dieser Sichtweise:

  • Zölle reduzieren insgesamt keine Handelsdefizite – Weder theoretische Modelle noch historische Daten zeigen eine dauerhafte Wirkung. Zahlungsbilanzdefizite und -überschüsse sind das Resultat gesamtwirtschaftlicher Zusammenhänge. Zölle allein beeinflussen sie nachweislich nicht. Enrique Martínez García and Kei-Mu Yi von der Federal Reserve Bank of Dallas haben das kürzlich eindrücklich aufgezeigt. Sie erzeugen dagegen Vergeltungszölle, höhere Verbraucherpreise, ineffiziente heimische Industrien und eine Umleitung globaler Lieferketten.
  • Industriejobs kehren nicht zurück – Sie verschwinden primär durch Automatisierung, nicht durch Handelsdefizite oder eine zu starke Währung. Zwischen 2013 und 2018 verlor allein China über 22 Millionen Fabrikarbeitsplätze – mehr als der globale Nettorückgang. Die Schweiz weist trotz starker Währung und äusserst geringer Zölle einen Zahlungsbilanzüberschuss, eine vergleichsweise geringe Arbeitslosigkeit und eine der weltweit höchsten Lebenserwartungen auf.
  • Bildung ist entscheidend – Moderne Jobs erfordern eine höhere Bildung der Beschäftigten. Höhere Einkommen und Beschäftigungssicherheit korrelieren denn auch stark mit dem Bildungsniveau. In den USA hingegen stagnieren die Abschlussquoten an den Colleges, und es gibt kein duales Berufsbildungssystem, das mit dem europäischen vergleichbar wäre.

Dazu kommt, dass die USA nur etwa 12% des Welthandels ausmachen. Etwa gleichviel handelspolitisches Gewicht hat Europa. Das heisst, rund drei Viertel des Welthandels geschieht woanders. Zölle sind kein grossartiger Hebel allein schon deshalb.

Entspricht die Politische Logik der ökonomische Realität?

Die Popularität protektionistischer Massnahmen erklärt sich weniger durch ihre Effektivität als durch ihre politische Symbolkraft. Sie sprechen Gefühle von Verlust und Ungerechtigkeit an, auch wenn sie die zugrunde liegenden Probleme nicht lösen. Sie liefern die Grundlage für ein Narrativ, dem zufolge Ausländer für ihre „Sünden” bezahlen müssen. In Wirklichkeit können sie jedoch die Wirtschaftskraft und Resilienz der USA schwächen und den Wohlstand der zurückgelassenen Bevölkerungsteile weiter schmälern. Denn Zölle sind schlicht Konsumsteuern auf Waren aus dem Ausland. Letztlich müssen die amerikanischen Konsumenten sie bezahlen.

Was sind die Konsequenzen für Europa?

Heute weicht die regelbasierte Ordnung zunehmend einer transaktionalen Ordnung, in der Länder Regeln ausschliesslich untereinander und für sich selbst aushandeln. Für Europa bedeutet dies, dass sich Regierungen und Unternehmen an eine fragmentierte, weniger vorhersehbare globale Wirtschafts- und Sicherheitsordnung anpassen müssen. Folgende Massnahmen drängen sich auf:

  • Risikomanagement durch Szenarioanalysen und Frühwarnsysteme.
  • Strategische Eigenständigkeit in Verteidigung, Energie und Technologie.
  • Rechtsstaatliche Instrumente, um Konflikte in handelspolitischen Fragen institutionell aufzufangen.

Und für Amerika?

Zölle und eine Schwächung des Dollars können die strukturellen Probleme der USA nicht lösen. Das Zahlungsbilanzdefizit wird sich dadurch nicht verringern und es werden keine Industriejobs geschaffen werden. Der Abstieg der Mittelschicht, die „Epidemie der Verzweiflung” und die Erosion gesellschaftlicher Stabilität erfordern vielmehr Reformen in den Bereichen Bildung, Gesundheit und soziale Absicherung.

Ohne diese Reformen bleibt Protektionismus ein politisches Symbol – ökonomisch wirkungslos und gesellschaftlich gefährlich.

Wie können wir helfen?

Wir können den Wind nicht lenken, aber wir können Ihnen helfen die Segel richtig zu setzen. Wir unterstützen Sie bei Ihrem politischen Risikomanagement, einschliesslich der Entwicklung von Szenarioanalysen, der Risikominderung, der Anpassung und dem Krisenmanagement.

Wie viel Einfluss ist erlaubt? Relationship Agreements im M&A richtig gestalten

Die CS-AT1-Abschreibung: Ein Rückschlag für den Aufseher – und ein Neustart für die Schweizer Krisenbewältigung

Aktuelle Rechtsprechung zur CS/UBS-Notfusion: Was bedeuten BGer 2E_1/2024 und der SDNY-Entscheid vom 30. September 2025?

Weitere Expertisen

Nach oben scrollen