Lindemann Law

Wie verklagt man die Credit Suisse? – Die Abschreibung der AT1-Anleihen

Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (FINMA), die Schweizerische Nationalbank, die UBS und die Credit Suisse sind in Klagen verwickelt, die sich auf die vollständige Abschreibung von AT1-Anleihen im Wert von 17,1 Milliarden Franken beziehen oder darum kreisen. Die Besitzer von AT1-Anleihen wurden völlig im Regen stehen gelassen. So haben die Schweizer Behörden beschlossen, dass diese Anleihegläubiger überhaupt nichts erhalten werden. Diese Entscheidung steht im krassen Gegensatz zu der üblichen Hierarchie der Verluste im Falle eines Bankenzusammenbruchs, bei dem die Aktionäre in der Regel als letzte irgendeine Entschädigung erhalten. Nun haben Tausende von Klägern beim Bundesverwaltungsgericht Klage eingereicht, um ihre Investitionen zurückzuerhalten bzw. eine Entschädigung zu erhalten. Der Ausgang ist ungewiss, da sich die rechtlichen Argumente hauptsächlich auf die Vertragsbedingungen (Prospekte der AT1-Anleihen), die (Un-)Verhältnismässigkeit und (Un-)Angemessenheit dieser Massnahme sowie die Schweizer Verfassung stützen. Der Marktwert der Anleihen kurz vor der Abschreibung könnte als Massstab für die Höhe einer möglichen Entschädigung herangezogen werden. Die einzelnen gesetzlichen Fristen für Klagen sind unklar und es könnten noch weitere Klagen folgen, möglicherweise auch aus dem Ausland.

1. Was sind die Additional-Tier-1-Anleihen (AT1)?

Bei so genannten Pflichtwandelanleihen oder Mandatory Convertible Notes (MCNs) wird die Forderung der Gläubiger am Ende der Laufzeit automatisch in eine Eigenkapitalbeteiligung des Emittenten umgewandelt. Eine Sonderform der Pflichtwandelanleihen sind die Additional-Tier-1-Anleihen (AT1). AT1-Anleihen werden auch als “Contingent Convertibles” oder “CoCos” bezeichnet. Bei AT1-Anleihen handelt es sich um ergänzende Eigenmittel, die bei Eintritt bestimmter Bedingungen (Trigger-Ereignis) absorbiert werden sollen, um die Unternehmensfortführung (“Rentabilität”) der Bank zu erhalten, bevor ein formelles Abwicklungsverfahren eingeleitet wird. Wenn ein Kreditgeber in Schwierigkeiten gerät, kann diese Art von Anleihen schnell in Eigenkapital umgewandelt oder vollständig abgeschrieben werden. Da AT1-Anleihen mit einem höheren Risiko behaftet sind, bieten sie eine höhere Rendite als die meisten anderen Anleihen, die von Schuldnern mit ähnlicher Bonität begeben werden, was sie bei institutionellen Anlegern beliebt macht.

2. Was ist der Streitpunkt und was wäre die Grundlage für die vollständige Abschreibung des Nennwerts (wertlos) der von der Credit Suisse ausgegebenen AT1-Kapitalinstrumente?

Nicht die Abschreibung der AT1-Anleihen der Credit Suisse selbst hat die Anleger erschüttert, sondern die Tatsache, dass der Aktionär der Bank eine gewisse Entschädigung erhält, die Anleihegläubiger jedoch nicht. Normalerweise stehen die Anleihegläubiger in der Hackordnung höher als die Aktionäre, wenn eine Bank scheitert. Da der Untergang der Credit Suisse jedoch nicht im Rahmen eines traditionellen Konkurses erfolgte, gelten diese Regeln nicht. Im Fall der Credit Suisse wurden die Aktionäre entschädigt, während die AT1-Inhaber keine Zahlungen erhielten.

Als die Schweizer Regierung und die Schweizer Aufsichtsbehörde die UBS zwangen, die Credit Suisse zu retten, war eine der Bedingungen, dass die AT1-Instrumente im Gegenwert von 17,1 Milliarden Franken als wertlos abgeschrieben werden. Daher hat die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA die Credit Suisse angewiesen, die AT1-Anleihen als wertlos abzuschreiben. In einer Medienmitteilung vom 23. März 2023 erläuterte die FINMA die zwei umstrittenen Grundlagen:

i. Die vertraglichen Ausgabeprospekte der Anleihen

Die von der Credit Suisse ausgegebenen AT1-Instrumente sehen vertraglich vor, dass sie im Falle eines Trigger-Ereignisses («Viability Event»), insbesondere bei der Gewährung ausserordentlicher staatlicher Unterstützung, vollständig abgeschrieben werden. Da die Credit Suisse am 19. März 2023 ausserordentliche Liquiditätshilfe-Darlehen, die mit einer Ausfallgarantie des Bundes gesichert sind, gewährt bekam, wären laut FINMA diese vertraglichen Bedingungen für die von der Bank ausgegebenen AT1-Instrumente erfüllt.

ii. Die Notverordnung des Bundesrats

Der Bundesrat hat am 19. März 2023 die Notverordnung über zusätzliche Liquiditätshilfe-Darlehen und die Gewährung von Ausfallgarantien des Bundes für Liquiditätshilfe-Darlehen der Schweizerischen Nationalbank an systemrelevante Banken in Kraft gesetzt. Mit dieser Notverordnung wurde der FINMA eine neue Befugnis zur Abschreibung von AT1-Kapital im Rahmen der Emergency Liquidity Assistance («ELA»; ELA kann nur gewährt werden, wenn das Unternehmen als solvent gilt) der Schweizerischen Nationalbank für systemrelevante Institute in der Schweiz erteilt. Die Verordnung ermächtigt die FINMA, gegenüber der Darlehensnehmerin und der Finanzgruppe anzuordnen, zusätzliches Kernkapital abzuschreiben.

3. Gibt es Beschwerden bei dem Bundesverwaltungsgericht?

Tausende Besitzer der AT1-Anleihen der Credit Suisse haben bei der Notübernahme der Bank durch die UBS einen Totalverlust im Gegenwert von 17,1 Milliarden Franken erlitten. In einer Medienmitteilug vom 23. Mai 2023 hat das Bundesverwaltungsgericht («BVGer») in St-Gallen mitgeteilt, dass gegen die Verfügung der FINMA vom 19. März 2023 betreffend die Anweisung zur Abschreibung der AT1-Instrumente ungefähr 230 Beschwerden (bis Mitte Juli 2023 wären es nun sogar mehr als 320 Beschwerden) beim BVGer eingegangen sind, die rund 2500 Beschwerdeführende aus dem In- und Ausland umfassen. Zu den Anfechtungsklägern gehört die Pensionskasse der Migros, der grössten Einzelhandelskette der Schweiz, die bei der Abschreibung der Anleihen rund 100 Millionen Franken verloren hat. Diese Verfahren sind noch hängig und das BVGer hat sich nicht zu einem möglichen Urteilsdatum geäussert.

Auch die Credit Suisse Group AG hat am 24. April 2023 an das BVGer einen Gesuch um vorsorglichen gerichtlichen Rechtsschutz eingereicht. Aus Sicht der CSG AG davon nicht erfasst waren die Contingent Capital Awards (CCAs), welche nicht von der CSG AG selbst ausgegeben, sondern von anderen Gruppengesellschaften ihren jeweiligen Mitarbeitenden als Teil der Vergütung zugesprochen worden waren. Die FINMA verneinte jedoch diese Sichtweise am 22. März 2023 mit einer Verfügung. Am 9. Mai 2023 teilte die CSG AG schliesslich dem BVGer mit, sie habe sich dazu entschieden, keine Beschwerde einzureichen, und zog ihr Gesuch zurück.

4. Was sind die rechtlichen Argumente der Beschwerdeführer?

Das Hauptziel der Bond-Besitzer ist es, ihre Investition zurückzuerhalten. Dafür müsste das St. Galler Gericht entscheiden, dass die Finma-Verfügung aufgehoben wird.

Der juristische Streit dreht sich hauptsächlich darum, ob die Bedingungen, die Anleihen abzuschreiben, erfüllt waren und ob es sich dabei um eine verhältnismässige Massnahme gehandelt hat. In dem Punkt 16 der Verfügung der FINMA werden die Bedingungen festgehalten, unter welchen das Trigger-Ereignis «Viability Event» in den vertraglichen Ausgabeprospekten, das zur Abschreibung führen kann, gegeben ist. Da gibt es Angriffsflächen für die Klägern. Die Frage ist, ob eine Auslöschung der Bonds gemäss Emissionsprospekt nur möglich sei, wenn die Bank staatliche Unterstützung erhalten habe und das zur Folge hätte, dass sich ihre Kapitalsituation verbessert. Das war im engeren Sinne nicht der Fall. Die CS hat die Kapitalanforderungen auch auf dem Höhepunkt der Krise erfüllt.

In diesem Sinne könnte die Notverordnung eine entscheidende Rolle gespielt haben, da nur sie die Abschreibung der Bonds ermöglicht haben könnte. Tatsächlich brennt diese Frage: Aber wenn es ein ” viability event ” gab, warum wurde die Vertragsklausel nicht von der Credit Suisse selbst ausgelöst und es musste ein Gesetz vorgelegt werden, um der FINMA die Befugnis zu geben, der CS die Abschreibung als Teil der Emergency Liquidity Assistance aufzuerlegen?

Wenn die Vertragsbedingungen der Bonds nicht ausreichten, um die Abschreibung herbeizuführen, könnte sich die Diskussion um die Verhältnismässigkeit und Zweckmässigkeit der eingeführten Notverordnung verlagern, zumal die Löschung der AT1-Bonds nicht dazu beigetragen hat, die Liquiditätssituation der CS zu verbessern und damit ihren Niedergang abzuwenden.

5. Was sind die Chancen auf Erfolg vor Gericht?

Der Ausgang bleibt völlig offen. Die Gerichte sollten feststellen, ob die Credit Suisse die Mindestkapitalanforderungen bereits überschritten hat und warum die Schweizer Aufsichtsbehörde FINMA kein förmliches Abwicklungsverfahren mit vollständiger Anwendung der Rangfolge der Forderungen und Löschung des Eigenkapitals eingeleitet hat. Die Gerichte werden zu entscheiden haben, ob die Entscheidung, die Anleihen abzuschreiben, die durch das Notstandsgesetz der Regierung gestützt wurden, eine verhältnismässige und Zweckmässige Reaktion auf die Schwierigkeiten der Credit Suisse war. Dies ist eine rechtliche “Grauzone”.

Sollte das Gericht die Wiedereinsetzung der Anleihen ablehnen, werden die Kläger dennoch eine Entschädigung fordern, da ihre Investitionen von der FINMA “enteignet” wurden, so wie privater Grund und Boden für die öffentliche Nutzung zwangsenteignet werden kann.

6. Wie hoch wäre die Entschädigung?

Um überhaupt eine Entschädigung zu erhalten, müssen die Kläger die Richter davon überzeugen, dass das Notstandsgesetz der Regierung, das die Übernahme der Credit Suisse unterstützte, einer Enteignung gleichkommt. Ein solches Urteil unterliegt auch der juristischen Auslegung. Dann ist nicht klar, welchen Massstab die Richter für die Entschädigung zugrunde legen würden.

Die Richter könnten z. B. den folgenden Massstab anlegen: die Anleihen wurden am 17. März, dem letzten Börsentag vor ihrer Zerschlagung durch die FINMA, zu rund 40 % ihres Nennwerts gehandelt – ein Marktwert von rund 6,8 Milliarden Dollar.

7. Sind die Einreichfristen abgelaufen, kann ich noch Beschwerde einlegen?

Es gäbe von etwa 230 Beschwerden am 23. Mai 2023 auf heute, Mitte Juli 2023, über 320 Beschwerden, die beim BVGer eingegangen sind, weil es unklar ist, welche Einreichfristen gelten. Bisher hat sich das BVGer nicht dazu geäussert, ob die Frist für die Einreichung weiterer Klagen abgelaufen ist. Möglicherweise ist es noch Zeit, die Situation zu analysieren, wenn Sie betroffen sind und geschädigt wurden. Lindemannlaw steht Ihnen gerne zur Verfügung, um die Situation mit Ihnen zu besprechen und zu bewerten. Ausserdem gibt es Gerüchte, dass Anwaltskanzleien in Singapur und Japan Klagen gegen die Schweizer Behörden vorbereiten (und möglicherweise bereits eingereicht haben), möglicherweise durch die Einleitung von Schiedsverfahren im Rahmen der internationalen Investitionsabkommen, die diese Länder mit der Schweiz abgeschlossen haben.

Der Entscheid an sich in der Frage, ob die Abschreibung der Bonds berechtigt war, wird anhand eines einzigen Pilotfalls beim BVGer entschieden werden. Danach besteht die Möglichkeit, gegen diese Entscheidung beim Bundesgericht Beschwerde zu erheben.

 

Für weitere Informationen können Sie uns gerne kontaktieren, wir helfen Ihnen gerne weiter.

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