Dieser Insight ergänzt unsere frühere Analyse vom Dienstag zu den Entscheidungen über die Fusion Credit Suisse / UBS (BGer 2E_1/2024 & SDNY 2025) – zusammen zeichnen sie die sich entwickelnde Rechtsprechung rund um die CS-Rettung und ihr langes juristisches Nachspiel nach.
Einführung
Die Credit Suisse Group AG („CS“) und die UBS Group AG („UBS“) prägten lange Zeit den Schweizer Finanzplatz. Nach einer lang anhaltenden Talfahrt erreichte die Krise im März 2023 ihren Höhepunkt. Mit einer Dringlichkeitsverfügung vom 19. März 2023 wies die FINMA unter anderem die CS an, alle Additional Tier 1 („AT1“) Kapitalinstrumente abzuschreiben. Diese AT1-Anleihen hatten einen Nennwert von etwa 16,5 Milliarden CHF. Rund 3’000 Anleihegläubiger, darunter auch von LINDEMANNLAW vertretene Parteien, haben gegen diese FINMA-Verfügung in rund 360 Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht („BVGer“) Beschwerde eingelegt. Nach einer Wartezeit von über 2 Jahren haben die Gläubiger mit dem Teilentscheid des BVGer vom 1. Oktober 2025 in einem Musterverfahren, der am 14. Oktober 2025 veröffentlicht wurde, einen unerwarteten Erfolg erzielt.
Gemäss diesem Entscheid des BVGer ist die FINMA-Verfügung vom 19. März 2023 aufzuheben und die Eigentumsrechte der Gläubiger sind zu respektieren. Dies ist ein großer Erfolg für die Gläubiger sowie für den Schweizer Rechtsstaat und das Schweizer Rechtssystem. Wir gratulieren ihnen hiermit zu diesem großen Erfolg! Besondere Glückwünsche und Dank an unsere Mandanten, die wir in diesen komplizierten Fällen vertreten dürfen!
1) Was bedeutet diese jüngste FAC-Entscheidung für AT1-Gläubiger und was wurde entschieden?
Dies ist eine Teilentscheidung in einem Musterverfahren. Dies ist eine vorgesehene Vorgehensweise in solch komplizierten Gerichtsverfahren. Gegenstand dieses Teilentscheids ist der Antrag des Beschwerdeführers, die FINMA-Verfügung vom 19. März 2023 zu widerrufen.
In diesem Teilurteil hob das BVGer die Verfügung der FINMA auf und stellte unter anderem fest, dass weder die Dringlichkeitsverordnung noch die Bedingungen der Instrumente eine klare Rechtsgrundlage für einen derart schwerwiegenden Eingriff in die Eigentumsrechte bieten. Das Gericht betonte, dass die CS am 19. März 2023 immer noch die Mindestkapitalanforderungen erfüllte und dass die staatliche Unterstützung, die auf Vertrauen und Liquidität abzielte, nach den vorliegenden Unterlagen weder einen Notfall noch ein Rentabilitätsereignis im Sinne der AT1-Vertragsbedingungen darstellte.
Nach Angaben des BAK wurden alle anderen damit zusammenhängenden Verfahren ausgesetzt, bis eine endgültige Entscheidung über die Rechtsgültigkeit dieses FINMA-Urteils vorliegt. Die FINMA hat bereits eine Beschwerde beim Bundesgerichtshof angekündigt. [1]
2) Warum ist das wichtig?
Die Entscheidung zügelt den Ermessensspielraum in Krisenzeiten: Selbst unter Druck erfordert die Aufsichtsbefugnis einen präzisen gesetzlichen und vertraglichen Auslöser. Der Ansatz des FAC unterstreicht die Rechtssicherheit als Eckpfeiler des Marktvertrauens und überlässt Abhilfemaßnahmen (Wiedereinsetzung vs. Entschädigung) späteren Phasen und zuständigen Gerichten.
3) Die wichtigsten rechtlichen Fehler, die das FAC beleuchtet hat, in Kürze
Vertrag vs. Regulierung. Das FAC hat die Sprache des AT1-Prospekts (insbesondere den Auslöser „Lebensfähigkeit“ in Verbindung mit der Kapitaladäquanz) enger ausgelegt als die FINMA in der Krise und näher an dem, was die Anleger von ihm erwarten würden.
Notfallbefugnisse. Das Gericht betrachtete die Notstandsverordnung als unzureichende (und potenziell überzogene) Grundlage, wenn der „Too-big-to-fail“-Rahmen bereits einen maßgeschneiderten gesetzlichen Weg bietet.
Klagebefugnis und Überprüfung. Die Eigentumsinteressen der Anleihegläubiger rechtfertigten eine gerichtliche Überprüfung; das Krisenmanagement steht nicht im Schatten eines ordentlichen Verfahrens.
Zusammengenommen deuten diese Themen darauf hin, dass die schweizerische Beschlussfassungspraxis bei künftigen Eingriffen auf mehr Texttreue und eine klarere gesetzliche Grundlage ausgerichtet werden sollte. (Siehe Hintergrundberichte und Gerichtszusammenfassungen.)
4) Was bedeutet das jetzt für die Anleger und UBS?
Die UBS als Nachfolgerin der CS befindet sich im Spannungsfeld zwischen Nutzen und Belastung: Sie wurde durch die Abschreibung 2023 bilanziell entlastet, könnte aber im Falle eines positiven Urteils mit Schadenersatzforderungen konfrontiert werden. Marktkommentatoren weisen darauf hin, dass selbst ein ungünstiger Ausgang die Kapitalstärke der UBS nicht gefährden dürfte, aber der rechtliche Überhang ist real und wird sich erst mit einer Entscheidung des Bundesgerichts auflösen. In der Zwischenzeit stieg der Handel mit Forderungen, die an die vernichteten AT1-Anleihen geknüpft sind, nach dem Urteil sprunghaft an – ein Marktsignal dafür, dass die wahrgenommene Wahrscheinlichkeit einer Auszahlung gestiegen ist, obwohl sie weit unter der Sicherheit liegt. [3]
5) Was kommt als nächstes?
Berufung einlegen. Die FINMA hat bereits eine Berufung angekündigt. Solange diese nicht rechtskräftig ist, führt der Teilsieg des FAC nicht zur Wiederherstellung der Verluste oder zur Zuerkennung von Schadenersatz. [4] Da das Schweizer Schadenersatzrecht einen kumulativen Nachweis erfordert:
Rechtswidrigkeit,
Schäden (robuste Quantifizierung),
Kausalität (natürlich und adäquat), können die Kläger erwarten, dass die Gerichte die Verlustmodelle und die Kausalität von Ereignissen sorgfältig prüfen.
Systemische Sichtweise. Die parlamentarische Arbeit zur CS-Krise (PUK) betonte die Bereitschaft, zeigte aber auch Druckpunkte bei der Aufsicht und der Kapitalentlastung auf – ein Kontext, den die Gerichte und die politischen Entscheidungsträger bei der Kalibrierung künftiger Rahmenwerke berücksichtigen werden. [5]
Fazit
Die Schweizer Gerichte haben eine klare Linie gezogen: Notfälle heben die Rechtmäßigkeit nicht auf. Das Urteil des BVGer stellt gesetzliche Klarheit und pacta sunt servanda bei der Bankenabwicklung wieder in den Mittelpunkt. Der Fokus verschiebt sich nun nach Lausanne: Das Bundesgericht wird die endgültigen Koordinaten festlegen und verbindlich über die Rechtsgültigkeit des FINMA-Urteils vom 19. März 2023 entscheiden. Sowohl für die Märkte als auch für die Institutionen ist dies ein konstruktiver Neustart – eine Gelegenheit, die Governance zu stärken, damit Stabilität und Legalität im Gleichschritt gehen. [6]
Wo LINDEMANNLAW Mehrwert schafft
LINDEMANNLAW verfügt über eine erfahrene und hochqualifizierte Prozessabteilung, die derzeit das langwierige Teilurteil und seine rechtlichen Eckpunkte eingehend prüft. Sie können von uns zeitnah eine rechtliche Einschätzung erwarten, die das Teilurteil im Detail analysiert.
LINDEMANNLAW vertritt Mandanten vor allen Gerichten in der Schweiz, insbesondere vor dem BVGer und dem Bundesgericht, und setzt sich intensiv für die Rechte seiner Mandanten ein. Wir bearbeiten Fälle, bei denen Beweise und Recht ineinandergreifen – von Wertpapier- und Kapitalmarktstreitigkeiten bis hin zu Staatshaftung und Verwaltungsrecht.
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Haftungsausschluss: Diese Veröffentlichung enthält nur allgemeine Informationen und stellt keine Rechtsberatung dar. Für eine Beratung in Ihrer speziellen Situation wenden Sie sich bitte direkt an uns.
Quelle
[1] https://www.reuters.com/business/finance/finma-appeal-credit-suisse-at1-court-ruling-2025-10-16/, https://www.srf.ch/news/wirtschaft/at1-urteil-bundesverwaltungsgericht-hebt-abschreibung-der-credit-suisse-anleihen-auf, https://www.nzz.ch/wirtschaft/at1-anleihen-finma-gerichtsurteil-credit-suisse-ld.1834512
[2] https://www.srf.ch/news/wirtschaft/das-sind-die-zentralen-punkte-des-at1-urteils, https://www.parlament.ch/centers/documents/de/puk-bericht-credit-suisse-2024.pdf
[3] https://www.ft.com/content/ubs-credit-suisse-at1-compensation-2025, https://www.reuters.com/business/finance/ubs-capital-impact-credit-suisse-at1-court-2025-10-16/, https://www.bloomberg.com/news/articles/2025-10-15/credit-suisse-at1-claims-jump-after-swiss-court-decision
[4] https://www.reuters.com/business/finance/finma-confirms-appeal-credit-suisse-at1-case-2025-10-16/, https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2024/2024-12-20-puk-credit-suisse.aspx
[5] https://www.bvger.ch/bvger/de/home/medien/medienmitteilungen.html, https://www.ft.com/content/swiss-at1-ruling-emergency-powers-2025
[6] https://www.news.admin.ch/en/newnsb/MnGHBti72ClCHjs5tE7GM?utm_source